Eine Bike-Revolution vom Bodensee?

Erstellt von Helmar Grupp, Südkurier

Das Ziel hat sich der Markdorfer Automotive-Zulieferer Weber Fibertech klar auf die Fahnen geschrieben: eine Bike-Revolution vom Bodensee. Das Unternehmen ist ein Spezialist für faserverstärkte thermoplastische Kunststoffe. Die sind extrem fest und sehr leicht. Smart zum Beispiel ordert die Heckklappen aus Faserverbundstoffen für seine Stadtflitzer in Markdorf. Mit dieser Technologie will Weber Fibertech nun in die Bike-Branche einsteigen und hat dafür die eigene Marke Fi.Bi.TEC gegründet.

Worum es geht? Rahmen und Gabeln aus Kunststoff sollen als Alternative zu den herkömmlichen Alu- und Carbonrahmen in den Markt eingeführt werden. Den ersten großen Aufschlag haben die Markdorfer gerade hinter sich: Auf der Messe Eurobike in Frankfurt präsentierten sie erstmals ihre Rahmen und Gabeln, eingebaut in die mit Sicherheitsfeatures vollgepackten Jugendfahrräder der von den Ex-Radprofis Marcel Kittel und Tony Martin gegründeten neuen Marke li:on. Kittel und Martin sind auf Messen natürlich Zugpferde, ihr Stand hatte Branchenmedien zufolge für Aufsehen gesorgt.

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Weber-Fibertech-Geschäftsführer Friedbert Schmitt. Er sei von der Resonanz überwältigt gewesen: „Von Donnerstag bis Samstag hat man unseren Stand fast überrannt.“ Vertreter namhafter Hersteller, aber auch von Startups hätten vorbeigeschaut, „die ganze Bandbreite“. Mit rund 20 Herstellern sei man inzwischen im Austausch, ein erster Auftrag sei unterschrieben.

In der Branche verfolgt man den Markteinstieg aufmerksam. Verbundwerkstoffe seien „sicherlich für viele Anwendungen interessant“, sagt Reiner Kolberg, Sprecher des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV, Berlin) auf Anfrage. Man rechne damit, dass recycelbare Kunststoffe die Ökobilanz von Fahrrädern künftig weiter verbessern werden. Interessant findet die Markdorfer Innovation auch Bernhard Glatthaar. Der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) im Bodenseekreis ist selbst Ingenieur. Er fahre zum Beispiel kein Carbon-Rad, da Carbon nicht recycelbar und der Gewichtsvorteil für Nicht-Profis nur minimal sei. „Ein solcher Kunststoffrahmen müsste natürlich auch bruchfest sein, das müsste in der Praxis noch nachgewiesen werden“, meint er. Generell höre es sich aber gut an: „Ein geringerer CO2-Fußabdruck und ein lokaler Hersteller, der Arbeitsplätze in der Region schafft und hält, das sind schon Argumente.“

Was genau hebt die Technologie aus Markdorf von herkömmlichen Verfahren ab? Thermoplast-Kunststoff ist den Machern zufolge nicht nur leicht und fest, sondern in der Herstellung und im Verkauf auch günstiger als Carbon, und anders als bei Alu Rahmen gebe es keine Schweißnähte, sondern eine vollkommen plane Oberfläche, sagt Florian Bühler, zuständig für Vertrieb und Marketing. Auch der ökologische Fußabdruck spiele eine große Rolle: „Thermoplast-Kunststoff ist im Gegensatz zu Carbon und herkömmlichen Kunststoffen zu 100 Prozent recycelbar.“

Die Produktion in Markdorf verbessere die CO2 -Bilanz weiter, vor allem für die großen deutschen Hersteller. Denn mehr als 90 Prozent der Rahmen werden inzwischen in Fernost produziert, betont Bühler. Sie kommen per Containerschiff auf dem Seeweg nach Europa. Seit 2011 beschäftige man sich bereits mit dem Bike-Thema, sagt Geschäftsführer Schmitt. Den Durchbruch habe die Wasserinjektionstechnologie gebracht. Damit können innen hohle Kunststoffkörper gefertigt werden. „All diese Technologien aus einer Hand gibt es nur bei uns“, sagt Schmitt: „Das istunser Alleinstellungsmerkmal.“

Das Unternehmen: Weber Fibertech gehört zur Unternehmensgruppe der Familie Weber. Der Automotive-Zulieferer ist ein Spezialist für hochfeste und sehr leichte Faserverbundwerkstoffe. Rund 50 Mitarbeiter sind in Markdorf beschäftigt. Zuletzt erwirtschaftete Weber Fibertech einen Umsatz in Höhe von mehr als 8 Millionen Euro, Tendenz deutlich steigend, heißt es seitens des Unternehmens. Im Zuge des nun bevorstehenden Einstiegs in den Bike-Markt wirbt Weber Fibertech intensiv um Fachkräfte.

Die Innovation: Das Zauberwort heißt Wasserinjektionstechnologie: Zuerst wird mittels Spritzgussverfahren heißer, flüssiger Thermoplast-Kunststoff in eine Form gepresst. Erkaltet die Außenseite des Kunststoffs, wird von der anderen Seite her Wasser in die Form gedrückt, das den noch flüssigen Kunststoff im Inneren wieder in die Spritzgussanlage zurückdrückt. Damit hat man, nachdem das Wasser wieder herausgeblasen ist, einen hohlen, aber hochfesten Kunststoffkörper. Der zurückgedrängte Kunststoff wird dann für das nächste Teil wiederverwendet. Auf der Anlage kann alle 60 Sekunden ein Rahmen produziert werden.

Der Bike-Markt: Nicht erst seit Corona boomt der deutsche Bike-Markt. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) gibt es aktuell 82,8 Millionen Fahrräder in Deutschland, zehn Prozent mehr als noch 2019. Davon sind 9,8 Millionen E-Bikes (2019: 5,4 Millionen). Im laufenden Jahr 2023 werden 2,6 Millionen Fahrräder produziert (+ 8 % gegenüber 2022), davon 1,7 Millionen E-Bikes (+ 20 Prozent). Eine Marktsättigung sei noch längst nicht erreicht, heißt es beim ZIV.